Der Kampf um Tetris

Die Geschichte um das Videospiel Tetris liest sich wie ein Politthriller. 1984, zur Zeit des Eisernen Vorhangs kurz vor Beginn der Glasnost– und Perestroika-Politik in der Sowjetunion, lies ein russischer Programmierer in einem wissenschaftlichen Institut seiner Kreativität freien Lauf und erfand auf der Basis des Brettspiels Pentomino, welches aus Spielsteinen bestand, die sich aus jeweils fünf (griech. „penta“) quadratischen Elementen zusammensetzten, das Videospiel Tetris, dessen Steine sich aus vier (griech. „tetra“) Elementen zusammensetzten. Beim Testen des Spiels geriet er in einen suchtartigen Zustand und dachte schon, dass er nicht mehr ganz bei Trost sei. Als seine Kollegen, die neugierig das Spiel sahen und testeten, genau dasselbe Verhalten aufwiesen, wusste er, dass er nicht verrückt war. Dieses kleine Spiel kopierten sich fortan die Kollegen, Freunde der Kollegen, Familienmitglieder bis sich das Spiel innerhalb kürzester Zeit quasi im gesamten Ostblock verbreitete.

Westliche Spielevertriebe pflegten geschäftliche Beziehungen zu ungarischen. Bei einem dieser ungarischen Vertriebe erweckte 1985 einem britischen Geschäftsmann das von ihm beiläufig wahrgenommene Tetris auf dem Monitor eines Computers sein Interesse. Der ungarische Händler wiegelte ab, das kostenlos kopierte Spiel lief schließlich rein zufällig auf dem Rechner und war kein Bestandteil von Verhandlungen. Ein Autorenhinweis im Spiel gab dem Briten dann den Hinweis zum Institut, von wo er auf das sowjetische Staatsunternehmen ELORG, welches das Lizenzgeschäft der sozialistischen Softwareprodukte regelte, verwiesen wurde.

Dieser Kontakt führte zu einem unheimlichen Kampf um die Rechte von Tetris, welcher sich im Computer-, Spielekonsolen- und Handheldmarkt im Westen (USA) und Fernen Osten (Japan) zwischen verschiedenen Unternehmen um Vertragsklauseln der sowjetischen ELORG austrug. Gezeichnet war dieser Kampf durch Missverständnisse, Fehlinvestitionen, Intrigen, Verhandlungsgeschick mit großen Gewinnern und Verlierern, was sogar zu einem Selbstmord eines amerikanischen Geschäftsmanns führte, aber auch zu einer Freundschaft.

Der eigentliche Erfinder des Spiels, Alexei Paschitnow, konnte darüber nur den Kopf schütteln. Aus seiner bescheidenen Sicht ging es doch nur um ein kleines Spiel. Er hatte keine finanziellen und rechtlichen Ansprüche daran, da dies dem sozialistischem Wertesystem widersprach und der Staat für sich regelte.

Die folgende einstündige Dokumentation der BBC erzählt die spannende Geschichte von Tetris mit Interviews der damaligen Protagonisten und einigen Originalaufnahmen der Geschäftsreisen.

Tetris: From Russia with Love

Wegen der schlecht lesbaren Untertitel empfehle ich den Vollbildmodus des Videos.

Update 7.2.10: Ich habe hier die deutsche Version der Dokumentation gefunden.

Der Wikipedia-Artikel zu Tetris und das Golem-Interview enthält die Geschichte in schriftlicher Form.

Alexei Paschitnow bekam zwar zu sowjetischen Zeiten eine gewisse und bescheidene Anerkennung, doch erst seit Ablauf der von ELORG vergebenen Lizenzen im Jahr 1996 hat der inzwischen in den USA lebende Programmierer durch Gründung der Tetris Company erstmalig finanziell von seiner Erfindung profitiert. Zwar ging der „große Kuchen“ an ihm vorbei, doch mittlerweile gibt es sehr erfolgreich verkaufte Versionen des Spiels für Wii, iPhone und alle möglichen Handys. (Update 6.2.10: Laut Krone-Zeitung haben alleine die Downloads der Handyversion die 100-Mio.-Grenze überschritten.) Und da das simpel und einfach zu begreifende Spiel so elementar auf den Instinkten des Menschen aufbaut („Konstruktion mit Bauklötzen“, „Fehlervermeidung und -bereinigung“, „Konzentration“, „Destruktion“, „Floweffekt“, usw. usf.), wird es wohl solange erfolgreich existieren, solange es digitale Geräte gibt. Somit ist es aus meiner Sicht ein lebendiger Bestandteil unserer Kultur.

Neue wissenschaftliche Studien kommen sogar zum Schluss, dass Tetris psychotherapeutisch (SZ 2.9.2009) und zum Gehirntraining (BMC Research Notes, Tetris Company Pressroom) eingesetzt werden kann.

Übrigens bin ich seit meinem ersten Computer, einem Amiga 500, Tetrisfan. Das Spiel kenne ich seit 1988 und hat mich sofort in den Bann gezogen, was zu sehr langen Nächten führte. Dies war damals die Tetrisversion von Mirrorsoft: http://www.lemonamiga.com/?game_id=1051.

Die 3D-Version „Blockout“ gehörte auch zu meinen Spielefavoriten.

Danach war ich von der Handheld-Version begeistert. Endlich konnte ich überall Tetris spielen und dann auch noch gegen einen anderen Mitspieler in einem sehr genialen Multiplayermodus. Das war natürlich die legendäre GameBoy-Version:

Die Begeisterung war so groß, dass meine Freunde und ich vor hatten, einen GameBoy-Tetris-Simulator für den Amiga zu entwickeln. Wir hatten bereits den berühmten Song „Typ A“ mit aufgenommenen Samples des Originals als Musikstück produziert und pixelgenaue Grafiken eines GamesBoys mitsamt Display und Tetris-Grafiken gezeichnet. Leider sind die Dateien irgendwo in den Untiefen der alten Formate und Medien verborgen. Das Einzige, was ich aus diesem Projekt noch habe, ist ein Bearbeitungsstand des Titelbildes. Ich versuchte das Originaltitelbild mit EA DeluxePaint III in HiRes nachzuzeichnen. Hier die in GIF konvertierte IFF-Datei:

Nachzeichnung des Tetris-Titelbilds
Nachzeichnung des Tetris-Titelbilds

Danach hatte ich Tetris von EA auf meinem Motorola-Handy.

Meine aktuelle Tetrisversorgung sieht so aus:

  • EA Tetris auf meinem SonyEricsson-Handy
  • Die äußerst emfehlenswerte WiiWare „Tetris Party

Wer jetzt Lust auf ein Tetrisspiel bekommen hat, kann hier gegen fünf andere das Original online spielen: http://www.tetrisfriends.com/

Und zum Schluss noch ein paar Tetris-Gags:

Update 7.2.10: Tetris – Liebesgrüsse aus Moskau BBC Dokumentation Part

Die deutsche Fassung ist etwas gekürzt und vollständig synchronisiert (inkl. O-Töne). Ich habe die vier YouTube-Videos in eine Playlist gepackt, so dass alle Videos automatisch nacheinander abgespielt werden. Die Notizen in den Videos können deshalb ignoriert und ausgeblendet werden.
Video leider nicht mehr verfügbar

Update 6.2.10:

Und noch mehr Fundstücke: